Autonomes Fahren / Die Ethik auf dem Schleudersitz
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ATLAS -
1. Juli 2017 um 17:37 -
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Vor kurzem wurde der Bericht der Ethikkommission zum Thema autonomes Fahren vorgestellt. Er kann auf der angegebenen Seite herunter geladen werden.
Von hinten angefangen könnte man sagen:
Die Ethikkommission teilt mit, dass es nichts mitzuteilen gibt.
Aus dem Bericht macht die Politik, einige Pressestellen und natürlich die Industrie einen Erfolg. Eine positive Bewertung. Doch mir drängt sich der Eindruck auf, weder Politik, noch Presse haben diesen Bericht gelesen. 36 Seiten, das ist den meisten Menschen schlicht zu viel.
Einzig der Industrie traue ich das zu. Und das auch nur aus dem Grund, die versteckten Schlupflöcher zu finden und zu analysieren. Was ich als durchaus legitim und richtig empfinde.
Die Kernaussage der Politik müsste aber richtigerweise lauten: Zum jetzigen Zeitpunkt ist eine Zulassung autonomer Systeme nicht praktikabel und daher nicht möglich.
Und schon die Aufzählung der Voraussetzungen, die nötig sind, um überhaupt solch ein Thema packen zu können drücken das deutlich aus:
Zitat von Seite 14Die Kommission arbeitet mit Annahmen, die zum derzeitigen technischen Stand noch nicht oder jedenfalls nicht hinreichend marktfähig bereitstehen
Eines schönen Tages also wird es eventuell so sein. Bis dahin .....
Der Bericht ist sehr gut gestaltet und formuliert. Viele Formulierungen würde man sich in dieser Präzision und einfachen Sprache auch von der Politik wünschen. Dennoch gefallen mir einige Punkte nicht, oder ergeben für mich mehr Widerspruch als Sinn.
Zitat von Seite 10 / Regel 2Die Zulassung von automatisierten Systemen ist nur vertretbar, wenn sie im Vergleich zu menschlichen Fahrleistungen zumindest eine Verminderung von Schäden im Sinne einer positiven Risikobilanz verspricht.
Damit wäre schlicht jedes Instrumentarium zulässig, welches die Statistik positiv verändert. Die elektronische Überwachung und Zubereitung meines Mittagessens würde über die direkte Einflußnahme eine positive Risikobilanz bewirken und spätere Gesundheitsschäden vermindern.
Zitat von Seite 10 / Regel 5Die Technik muss nach ihrem jeweiligen Stand so ausgelegt sein, dass kritische Situationen gar nicht erst entstehen, dazu gehören auch Dilemma-Situationen,
Eigentlich ein prima Totschlagargument. Denn dieser Zustand kann nie erreicht werden. Er kann erst dann erreicht werden, wenn der Mensch in keiner Weise mehr aktiv am Straßenverkehr teilnimmt, sondern nur noch passiver Passagier ist. Somit wäre an dieser Stelle jede weitere Diskussion eigentlich überflüssig. Denn eine Zwangsanordnung bewertet der Bericht ausdrücklich negativ.
Zitat von Seite 11 / Regel 6Die Einführung höherer automatisierter Fahrsysteme insbesondere mit der Möglichkeit automatisierter Kollisionsvermeidung kann gesellschaftlich und ethisch geboten sein, wenn damit vorhandene Potentiale der Schadensminderung genutzt werden können.
Umgekehrt ist eine gesetzlich auferlegte Pflicht zur Nutzung vollautomatisierter Verkehrssysteme oder die Herbeiführung einer praktischen Unentrinnbarkeit ethisch bedenklich, wenn damit die Unterwerfung unter technische Imperative verbunden ist (Verbot der Degradierung des Subjekts zum bloßen Netzwerkelement).
Widersprüchlich fühlt sich Regel 6 an. Nach diesem Grundsatz könnte man auch jeden Menschen einfach Einsperren, um eine Schadensminderung zu erreichen. Die totale Kamera-Überwachung, inklusive Gesichtserkennung wäre ein ähnliches Vorgehen. Verbote von bestimmten Speisen, Verhaltensweisen, oder die Benutzung bestimmter Geräte, wie zum Beispiel Küchenmesser oder Feuerwerkskörper, würden mit dem gleichen Argument vertretbar sein.
In der abgelehnten Unterwerfung besteht der große Widerspruch. Wenn eines nur in Verbindung mit dem Anderen möglich ist, das Andere aber abgelehnt werden muss, dann ist dieser Punkt nichtig.
Zitat von Seite 11 /Regel 10Die dem Menschen vorbehaltene Verantwortung verschiebt sich bei automatisierten und vernetzten Fahrsystemen vom Autofahrer auf die Hersteller und Betreiber der technischen Systeme und die infrastrukturellen, politischen und rechtlichen Entscheidungsinstanzen. Gesetzliche Haftungsregelungen und ihre Konkretisierung in der gerichtlichen Entscheidungspraxis müssen diesem Übergang hinreichend Rechnung tragen.
Ich persönlich sehe diesen Punkt als besonders kritisch und nicht korrekt beurteilt an.
Im Gegensatz zu einem Flugzeug, einer Eisenbahn, einem Sessellift oder einer Rolltreppe, besteige ich ein Auto nicht als völlig losgelöste Person, die lediglich passiver Benutzer ist. Vielmehr erwerbe ich das Fahrzeug privat. Ich bin für den Unterhalt, die Betankung, die Wartung, die Versicherung, das Parken, verschließen und in-Gang-setzen ganz allein zuständig. Ich bin es, der dieses Objekt in den Lebensraum der übrigen Menschen einbringt. Der Gesetzgeber spricht dabei oft von der Gefährdungshaftung. Sie kann nicht übertragen werden. Das ist kein Bus, in den ich einsteige.
Mir ist völlig schleierhaft, wie man bei einem Privatfahrzeug die private Haftung völlig eliminieren kann.
Zitat von Seite 12 / Regel 14Automatisiertes Fahren ist nur in dem Maße vertretbar, in dem denkbare Angriffe, insbesondere Manipulationen des IT-Systems oder auch immanente Systemschwächen nicht zu solchen Schäden führen, die das Vertrauen in den Straßenverkehr nachhaltig erschüttern.
Die aktuelle Lage zeigt, zum jetzigen Zeitpunkt ist eine Unangreifbarkeit der EDV nicht praktikabel.
Zitat von Seite 26Automatisierte Fahrfunktionen dürfen nur dann eingesetzt werden, wenn sie statistisch sicherer sind als menschliche Fahrer.
Diesen Punkt hatten wir eigentlich schon. Der Unterschied besteht im Wort "dürfen". Das hört sich nach alleinigem Kriterium an, etwas zuzulassen. Ist dieser Punkt positiv entschieden, reicht er, das autonome Fahren zuzulassen.
Zitat von Seite 28Die zuverlässige Übertragung von Daten entzieht sich jedoch der Haftungsverantwortung der Hersteller und könnte insofern den Telekommunikationsbetreibern zugewiesen werden. Sie sind im Rahmen der von ihnen gegebenen Garantien für eine sichere Übertragung der Daten verantwortlich.
Warum eigentlich? Warum soll der Hersteller als Betreiber eines autonomen Fahrsystems nicht auch für die Datenübertragung haftbar sein? Warum soll der Hersteller etwas schlechter machen als der Telekommunikationsbetreiber? Oder anders herum, warum es der Telekommunikationsbetreiber besser machen können.
Genau solche Formulierungen betrachte ich als genau die Lücke, nach denen die Industrie suchen wird. Ein prima Kaugummi. Die Schuldzuweisung im Falle des Falles kann dann nach belieben hin und her verschoben werden.
Zitat von Seite 15 / Punkt 1.2Die Einführung einer elektronischen Variante des Aufzugs bedeutete zunächst nicht nur den Wegfall von Arbeitsplätzen, sondern begründete auch die
Furcht vor Systemausfällen. Heutzutage ist der elektronische Lift eines der, auch bei gelegentlich auftretenden Funktionsstörungen, insgesamt sichersten und intensiv genutzten Massentransportmittel der Welt.
Dieser Vergleich ist mir völlig schleierhaft. Was haben sich die Autoren dabei gedacht? Würden alle Menschen ihren eigenen Lift kaufen, selbst einbauen, betreiben und benutzen, dann wäre dieser Vergleich gültig. Er zeigt zwar, dass Technik Angst machen kann und oftmals nach einiger Zeit als Segen empfunden wird, beim Auto aber bin ich alleiniger Besitzer eines Gerätes, welches ich unter die Menschen bringe und durchaus Schaden damit verursachen kann.
Zitat von Seite 21 / Punkt 5Eine verpflichtende Einführung autonomer Systeme kann nicht alleine durch die allgemeine Erhöhung der Sicherheit von vollautomatisierten Systemen gerechtfertigt werden.
Auch hier wieder erkennen wir die Zerrissenheit des Themas. Eigentlich kann es kein autonomes Fahren geben, ohne die menschliche Komponente völlig zu eliminieren. Dieser aber kann nur per Pflicht erfolgen. Welche es wiederum nicht geben sollte.
Momentan ist weder der Mensch in der Lage, solch ein Gerät absolut zuverlässig und sicher zu bedienen, noch ist die Verkehrs-Umwelt geeignet, der nötigen Technik ein praktikables Umfeld zu bieten.
Für mich kann das nur bedeuten, solche Systeme dürfen auf keinen Fall eine Zulassung bekommen.
Über den Autor
Ich schreibe mir gern meinen Frust vom Halse.
Alle meine Ansichten sind eben nur Ansichten. Meine persönliche Meinung.